Das Dritte im Bunde...

...der mit "Tikal" begonnen und mit "Java" fortgeführten Trilogie um alte Kulturen ist "Mexica". Wiederum vom Autorenduo Michael Kiesling und Wolfgang Kramer stammend besitzt auch dieses Spiel Aspekte, die es mit seinen Vorgängern gemein hat: neben der Grafik von Franz Vohwinkel, die dieser Reihe ein einheitliches Aussehen verleiht, werden wieder Aktionspunkte verwendet, um den Spielern in ihren Zügen Handlungsspielraum zu verleihen.

In "Mexica" gilt es, die alte Stadt Tenochtitlán der Azteken, welche auch als Mexica bezeichnet werden, wieder auferstehen zu lassen. Vor uns auf dem Spielplan sehen wir die Insel im Texcoco See, die damals die Hauptstadt der Mexica beheimatete (und auf der heute Mexico City anzutreffen ist). Noch ist das Land wüst und leer, viel mehr als 4 Startfelder und ein begonnener Kanal sind dort nicht zu finden. Doch das werden wir als Spieler sicher rasch zu ändern wissen!

Zum Wohl: ein Sechserpack Aktionspunkte

Ziel des Spiels ist es, durch Gründung von Stadtbezirken und durch Errichten von Gebäuden für die Mehrheit in denselben die meisten Siegpunkte zu ergattern. Das Spiel selbst gliedert sich in zwei Bauphasen, die jeweils von einer Wertung der Bezirke abgeschlossen werden.Zu Beginn erhält jeder Spieler ein Kontingent unterschiedlich wertvoller Gebäude sowie einen Mexica seiner Farbe, und es werden Calpulli-Plättchen aufgedeckt, die vorgeben, welche Größen die zu gründenden Bezirke haben müssen. Dann kann es losgehen: wer an der Reihe ist, hat diverse Möglichkeiten, seine Aktionspunkte, diesmal 6 an der Zahl, einzusetzen. Zum einen darf man Kanalteile bauen, mit denen als Grenzen man die einzelnen Gebiete auf dem Spielplan abteilt. Auf den Kanälen dürfen auch Brücken platziert werden, die das Überqueren dieser durch die Mexica ermöglichen. Zum anderen kann man mit seinen Aktionspunkten auch seinen Mexica versetzen oder in dem Bezirk, in dem er sich befindet, Gebäude errichten (wobei die Baukosten dem Wert bzw. der Höhe der Gebäude entsprechen). Als Neuerung des Aktionspunktekonzepts ist es darüber hinaus möglich, überzählige Punkte für spätere Runden aufzusparen, dazu kann man bis zu zwei Aktionschips pro Zug kaufen.

Gänzlich kostenfrei ist aber mit die wichtigste Aktion im Spiel: das Gründen eines Bezirks. Befindet sich der eigene Mexica in einem durch Wasser abgeteilten Gebiet, und es steht noch ein Calpulli-Plättchen zur Verfügung, das der Anzahl der Felder im Gebiet entspricht, so kann man dieses aus der Auslage nehmen und auf ein Feld innerhalb des Gebiets platzieren. Damit ist der Bezirk gegründet, was für die darin befindlichen Mexica sogleich Siegpunkte bringt. Nützlicher Nebeneffekt: nur gegründete Bezirke bringen den Spielern, die darin mit entsprechend wertvollen Gebäuden vertreten sind, bei der nächsten Wertung Punkte.

Gute Gründe, Gebiete zu gründen

Eine Wertung tritt immer dann ein, wenn alle ausliegenden Calpulli-Plättchen zur Bezirksgründung verwendet wurden und mindestens einer der Spieler alle seine Gebäude zur Bereicherung des Stadtbilds eingebracht hat. Nach Ablauf der aktuellen Runde werden dann die einzelnen gegründeten Bezirke gewertet: der Spieler, der insgesamt die wertvollsten Gebäude in einem solchen besitzt, erhält die höchste auf dem Calpulli- Plättchen eines Bezirks vermerkte Zahl als Siegpunkte. Diese fällt natürlich umso höher aus, je größer die Fläche des betreffenden Bezirks ist. Aber auch der zweit- und drittplatzierte Spieler gehen nicht leer aus, sie ernten für ihre Bautätigkeiten Lorbeeren in Form von verringerten Punktzahlen. Nach Abschluß der ersten Wertung werden neue Calpulli-Plättchen aufgedeckt, ebenso erhält jeder Spieler einen weiteren Satz Gebäude, diesmal etwas höhere als zu Spielbeginn, und dann geht's in die zweite Phase. Nach deren Abschluß mit einer weiteren Wertung endet das Spiel - und der Sieger ist auf der wohlbekannten "Kramerleiste" abzulesen.



"Mexica" hebt sich, trotz manch spielmechanischer Verwandtschaft zu den anderen beiden Titeln der Trilogie, spielerisch deutlich von "Tikal" und "Java" ab. Das Gründen vorgegebener Bezirksgrößen durch Kanalbau sowie die Bewegungsmöglichkeiten der eigenen Spielfigur geben dem Spiel eine wohltuende Eigenständigkeit. Auch das Aufsparen von Aktionspunkten erweist sich im Spiel als sehr schöne neue taktische Finesse, daneben gewährleistet das vorgegebene Kontingent unterschiedlich wertvoller Gebäude die notwendige spielerische Tiefe. Man steht ständig vor dem Dilemma, Gebiete mit eigenen kleinen Gebäuden "zupflastern" zu wollen, um sie endgültig für sich zu sichern - doch dann hat man schnell sein Pulver verschossen, und es bleibt dann nichts mehr, um sich billig in andere Gebiete einzuschleichen. Ebenso hat der Bau monumentaler, wertvoller Gebäude seine Tücken: psychologisch mögen sie machthungrige Mitspieler eine Weile abschrecken, aber irgendwann kommen sie doch und fallen wie Heuschrecken über das weite, offene Terrain daneben her. Oder soll man doch lieber ein neues Gebiet gründen? Aber dann beschleunigt man ja vielleicht das Spiel zu Ungunsten seiner selbst und lässt zudem das eben gerade besetzte Gebiet schutzlos zurück. Und weite Reisen können, wie intensiver Kanalbau, so schnell ins "Geld", oder besser: in die
Aktionspunkte gehen…

So ergibt sich eine fein abgestimmte Spielbalance, die den Spieler ständig im Zwiespalt zwischen Gebietsgründung, Häuserbau und Reisen durch das weitläufige Kanalgeflecht gefangen hält. Die für dieses Erlebnis nötigen Regeln sind klar und einfach, so dass sich der Einstieg ins Spiel unkompliziert gestaltet, zumal er durch die reich (aber leider nur schwarz-weiß) bebilderte Anleitung sehr gut unterstützt wird. Auch die Hürde eines "Java", nämlich hohe Ansprüche an die räumliche Vorstellungskraft der Spieler, ist in "Mexica" nicht zu finden. Dennoch birgt auch hier wieder das Aktionspunktekonzept in Verbindung mit den möglichen taktischen Winkelzügen Raum für verlängerte Bedenkzeiten der Spieler. Ein flüssiges Spielerlebnis erhält man am besten, wenn wirklich alle Spieler auch während der Zeit, zu der sie nicht am Zug sind, Überlegungen zu ihrer geplanten Vorgehensweise anstellen. In unseren Runden funktionierte das weitgehend gut, aber ein lockeres Spiel für jedermann ist auch "Mexica" sicherlich nicht. Für Mitspieler, die mehr träumen als taktieren und lieber plappern als planen, sollte man also lieber ein ganz anderes Spiel aus dem Schrank hervorzaubern. Somit ist es trotz der Altersangabe "ab 10" im Familienkreise nur bei entsprechendem Einschlag im Erbgut bedenkenlos einsetzbar.

(Tri)logisch: kein "Java"…

Und damit wären wir beim subjektiven Kritikpunkt angelangt: "Mexica" bietet wieder viel Raum für Überlegungen, kommt aber bei der Spieltiefe letztlich nicht an ein "Java" heran. Viel mehr liegt es in etwa auf dem Niveau des vielfach mit Preisen ausgezeichneten "Tikal" bzw. leicht darunter, kann aber nicht mehr so stark mit dem Reiz des Neuartigen aufwarten wie jenes zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. Insofern könnten dem Spiel Belange zum Nachteil gereichen, die mit ihm selbst gar nichts zu tun haben. Denn "Mexica" bietet eigentlich, nachträglich begutachtet, einen gelungenen Einstieg in die Trilogie, "Tikal" baut darauf auf und "Java" ist vom spielerischen Anspruch her die Krönung des Aktionspunktekonzepts. Nun ist es, wie wir alle wissen, aber etwas anders gekommen, so dass zu hoffen bleibt, dass "Mexica" aufgrund dessen nicht im Schatten seiner Vorgänger verweilen muss, sondern ob seiner spielerischen Güte und Eigenständigkeit daraus hervortreten wird.

Denn "Mexica" ist ein wirklich gutes, sogar ein sehr gutes Spiel mit einfachem Einstieg, das aber dennoch taktisch fordert und viel Spass macht - wobei hier, ähnlich wie bei den Vorgängern, gilt, dass es mit der Maximalbesetzung von vier Spielern am meisten Spannung und Konkurrenz gibt, während bei nur zwei Spielern jedem Spieler schlichtweg zuviel Raum auf dem Spielplan eingeräumt wird. Bleibt noch der Preis, der mit 40 Euro nicht gerade niedrig liegt. Spielerisch ist dieser vertretbar, vom Material (Kunststoff sowie Stanztafeln dominieren) her erscheint er aber einen Tick zu hoch gegriffen, wenn man "Mexica" mit der Ausstattung diverser Konkurrenzprodukte vergleicht. Unterm Strich ist "Mexica" dennoch ein richtiges spielerisches Vergnügen, gewiß kein billiges, aber eines, das allemal eine Anschaffung wert ist.



Mexica von Michael Kiesling und Wolfgang Kramer, Grafik: Franz Vohwinkel, 2-4 Spieler ab 10 Jahren, Spieldauer ca. 90 Minuten. Ravensburger (2002), Preis ca. 40 €

Roman Pelek, 23.01.2002